Kunsttherapie: Die heilsame Wirkung des kreativen Prozesses

Im Herbst dieses Jahres wurde das neue Palliativzentrum in der ehemaligen Villa St. François in der Nähe des HFR Freiburg – Kantonsspitals eröffnet. Die Mitarbeitenden des Zentrums haben den Auftrag, Patienten mit schweren und fortschreitenden chronischen Krankheiten sowie deren Angehörige zu betreuen. Ziel dieser Unterstützung ist es auch, den Tagen Leben zu schenken, und nicht umgekehrt. Zu diesem Zweck bietet das Zentrum unter anderem Kunsttherapie an. Interview mit Jean-Michel Capt, Kunsttherapeut.

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Sie arbeiten als Kunsttherapeut im Palliativzentrum in der Villa St. François. Was ist ein Kunsttherapeut?

Ein Kunsttherapeut nutzt alle Formen der Kunst, um einer Person die Möglichkeit zu geben, sich auszudrücken. Er ist eine Art Katalysator, der den Patienten dabei unterstützt, seine Kreativität zu entfalten. Die kreative Arbeit wird in aussagekräftige Erkenntnisse und ein eigenes Bewusstsein „übersetzt“. Die Anwesenheit eines Kunsttherapeuten ist Teil eines Verständigungsprozesses, der im Laufe der Behandlungen entsteht, ohne aufdringlich zu sein oder eine Richtung vorzugeben. Es geht darum, Zeit mit der Person zu verbringen, für sie da zu sein und den Therapieprozess zu begleiten. Die Arbeit des Kunsttherapeuten besteht nicht darin, das künstlerische Werk zu bewerten, sondern dessen symbolische Bedeutung zu verstehen. Der Patient wird bei der Wahrnehmung seines Werks begleitet, z. B. wie er den Raum einteilt, Formen anordnet oder Farben verwendet. Kunsttherapie ermöglicht, das Potenzial der betreffenden Person im Ausgleich zu ihren Einschränkungen zu entdecken.

     

    Warum ist Kunsttherapie so wichtig für die Arbeit mit Patienten in der Palliativpflege und Palliativmedizin?

    Kunsttherapie bietet eine kreative Erfahrung, die Zugang zu einem nonverbalen, bewussten, halbbewussten oder unbewussten Selbstausdruck in verschiedenen Formen gibt und so eine bessere Selbsterkenntnis ermöglicht. Das Werk ist daher der entscheidende Kommunikationskanal. Das Ziel der plastisch-gestalterischen Kunsttherapie ist es, den Menschen einen besonderen Raum zu bieten, in dem sie ihre Welt ausdrücken können, die sich nicht in Worte fassen lässt. Der Nutzen der Kunsttherapie in der Palliativmedizin ist vielfältig und umfasst u. a. folgende Elemente:

    • verborgene Erinnerungen aufspüren
    • Gefühle wahrnehmen, zulassen und ausdrücken
    • der verbleibenden Zeit Sinn verleihen
    • die persönliche Lebensgeschichte Revue passieren lassen
    • eine Botschaft überbringen
    • eine Spur hinterlassen
    • Identität und Selbstbild wiederherstellen
    • Ruhe finden

     

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    Interdisziplinarität ist besonders wichtig in der Palliativpflege und Palliativmedizin. Wie verknüpfen Sie Kunsttherapie mit anderen Therapieformen?

    Interdisziplinarität ist in der Palliativmedizin von grösster Bedeutung. Kunsttherapie ist Teil der Komplementärmedizin. Alle Erkenntnisse, die durch den künstlerischen Ausdruck zum Ausdruck gebracht werden, sind für die Gesamtbetreuung der Person in einer Palliativsituation unter Berücksichtigung der physischen, psychischen, sozialen und spirituellen Dimensionen von Nutzen. Deshalb kann ich mir meine kunsttherapeutische Praxis kaum vorstellen, ohne meine Arbeit mit den verschiedenen Mitgliedern des interdisziplinären Teams zu koordinieren. Es ist wichtig, dass ich einen kontinuierlichen Dialog mit meinen Kollegen führe. 

    Was wird sich mit dem neuen Palliativzentrum für Sie ändern?

    Ich freue mich sehr über die Eröffnung des neuen Zentrums. Menschen in Palliativsituationen und ihre Angehörigen werden in den drei klinischen Strukturen (Tagesbetreuung, spezialisierte Palliativpflege, Hospiz) von der Kunsttherapie profitieren können. Die kontinuierliche kunsttherapeutische Begleitung wird daher im Rahmen eines umfassenden Betreuungsprogramms verstärkt.

    Was motiviert Sie, Kunsttherapie im Bereich der Palliativpflege zu praktizieren?

    Zunächst war es mein eigener kunsttherapeutischer Prozess, durch den ich die therapeutische Erfahrung der Kunst, ihre Kraft und ihren Nutzen entdeckte. Zweitens räumt die Palliativmedizin den Emotionen der Patienten und ihrer Angehörigen einen wichtigen Platz ein. Die Kunsttherapie passt optimal zu diesem Prinzip. Was mich besonders motiviert, ist das Angebot eines kunsttherapeutischen Prozesses als sicheren Raum, der das Auftreten verschiedener Emotionen zulässt und dem Patienten erlaubt, Ruhe zu finden.

    Abschliessend möchte ich den Psychoanalytiker Michel de M'Uzan zitieren: (...) Letztendlich bringt der Tod zwar ein Leben zum Abschluss, aber er kann es auch neu erschaffen, wenn der Sterbende aus seinem Inneren heraus versucht, sich der Welt vollständig zu öffnen, bevor er sie verlässt.