«Die therapeutische Beziehung ist ein Schlüssel zum Erfolg»
Marie Gremaud kommt seit 2020 regelmässig ans HFR Freiburg – Kantonsspital zu Léa Bovet in die Sprechstunde. Die Psychologin und Psychotherapeutin ist Teil des Teams des Zentrums für Essstörung und Übergewicht, dass unter anderem Personen nach einem Magen-Bypass begleitet.
Können Sie uns erzählen, wie es dazu kam, dass Sie sich am HFR den Magen haben operieren lassen?
Marie Gremaud : Das war ein langer Prozess,denn ich leide schon seit ich fünf Jahre alt bin an Übergewicht. Wegen dieser Erkrankung, aber auch wegen anderen neurologischen und orthopädischen Leiden war ich in medizinischer Behandlung. Weil ich an Schlafapnoe und wiederkehrender, starker Migräne litt, habe ich mich schliesslich für einen Magen-Bypass entschieden, um abzunehmen. Zuvor hatte ich verschiedene Diäten ausprobiert, jedoch ohne Erfolg. Nach mehreren einschneidenden Ereignissen hat es Klick gemacht und im Juli 2020, mit 25 Jahren, habe ich mich operieren lassen.
Wann haben Sie Frau Bovet zum ersten Mal getroffen?
MG : Ein paar Monate vor der Operation. Das Vorgehen vor einer solchen Operation ist genau festgelegt und umfasst verschiedene Etappen.
Welche Etappen durchlaufen Patientinnen und Patienten vor einer sogenannten Magenverkleinerung?
Léa Bovet : Vor dem Eingriff steht tatsächlich ein relativ langer medizinischer Prozess. Am HFR müssen betroffene Personen ein Informationsmodul bestehend aus neun Kursstunden absolvieren: drei zu den medizinischen Aspekten, drei zur Ernährung und drei zu den psychologischen Auswirkungen der Operation. Erst danach entscheidet die Person, ob sie den Eingriff durchführen lassen will. Wenn ja, besucht sie einen weiteren achtstündigen Kurs zum Thema Ernährung und wird medizinisch und psychologisch vorbereitet. Nach dem Eingriff muss die Ernährungsweise stark angepasst werden, es ist also wichtig, dass die Patientin oder der Patient sich schon im Vorfeld mit den Veränderungen vertraut macht.
An welcher Stelle in diesem Prozess kommen Sie als Psychologin zum Einsatz?
LB : Wir treten bereits während des Informationsmoduls in der Gruppe in Kontakt mit den Patientinnen und Patienten. Die Einzelsitzungen beginnen direkt nach dem ersten Modul und wir erstellen gleichzeitig zu den verschiedenen medizinischen Abklärungen ein psychologisches Gutachten. Das Ziel ist es, festzustellen, ob es absolute oder relative Kontraindiktionen für die Operation gibt. So klären wir ab, ob Stimmungsschwankungen, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen, ein gestörtes Essverhalten, eine Sucht oder andere psychische Erkrankungen vorliegen, die das Ergebnis der Operation gefährden könnten. Wir fragen auch nach Stressfaktoren im Leben der Person. Situationen wie eine Scheidung oder eine kürzliche Entlassung können sich negativ auf die Anpassung an den neuen Magen auswirken.
Haben Sie diese psychologische Betreuung als belastend empfunden oder fanden Sie sie notwendig?
MG : Das war eine sehr wichtige und notwendige Etappe. In diesem Moment ist eine Verbindung zwischen mir als Patientin und Frau Bovet als Therapeutin entstanden. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich ernst nimmt. Wir sind beide engagiert und arbeiten gut zusammen. Sie unterstützt mich kompetent, hört mir zu und zeigt mir Lösungswege auf. Eine wertvolle Hilfe also.
LB : Es ist wichtig, dass eine therapeutische Beziehung entsteht. Als Therapeuten ist es unsere Aufgabe, zu helfen und zu unterstützen. Wir betonen immer, dass wir ein Team sind, zu dem auch die Patientin oder der Patient gehört. Und sie oder er trägt auch Verantwortung. Diese Verbindung ist einer der Schlüssel zum Erfolg.
Werden alle Patientinnen und Patienten langfristig betreut?
LB : Wenn sich die Person in unserem Zentrum für eine Magenoperation entscheidet, ist das ein lebenslanges Engagement. Auch wenn alles gut geht, müssen im ersten Jahr alle drei Monate und später regelmässig Blutanalysen gemacht werden, um beispielsweise Nährstoffmängel zu verhindern. Aus psychologischer Sicht hängt es von den Bedürfnissen der Patientin oder des Patienten ab. Im ersten Jahr ist die psychologische Betreuung aber obligatorisch.
Gibt es einen bestimmten Grund dafür?
LB : Wir müssen uns vergewissern, dass die Person sich an ihren neuen Magen und damit an die neue Ernährung gewöhnt. Ausserdem führt der rasche Gewichtsverlust in den ersten Monaten zu einer gewissen Euphorie, aber häufig auch zu ästhetischen Problemen. Es ist wichtig, dass die Person gut auf diese Veränderungen vorbereitet ist und begleitet wird.
Wie haben Sie die Veränderungen nach der Operation erlebt?
MG : In den ersten sechs Monaten habe ich rund 30 der 40 kg, die ich insgesamt abnahm, verloren. Es war wirklich ein euphorisches Gefühl. In dieser Zeit konzentriert man sich auf alle Dinge, die man verändern muss. Erst später bemerkt man die Nebenwirkungen: schlaffe Haut, Haarausfall, Schwierigkeiten, die Versprechen zu halten usw. Und dann ist die psychologische Unterstützung wirklich wichtig.
Hatten Sie in dieser Zeit häufiger Sitzungen?
MG : Eine Weile lang, ja. Aber der Austausch kann auch telefonisch oder per E-Mail erfolgen. Das ist wirklich eine grosse Stütze.
LB : In den Gesprächen arbeiten wir am Körperbild und daran, mit den Folgen der Operation und des früheren Übergewichts zu leben.
Kommt für Sie eine Wiederherstellungschirurgie (Hautstraffung) infrage?
MG : In meinem Fall wurde die Kostenübernahme trotz zweier Einsprachen abgelehnt. Ich habe das Gefühl, dass ich den Weg nicht zu Ende gehen kann. In einigen Ländern ist die Wiederherstellungschirurgie Teil des Prozesses. Die Situation in der Schweiz empfinde ich als ungerecht.
LB : Die Notwendigkeit von Hautstraffungen wird von den Vertrauensärzten der Krankenkassen im Einzelfall beurteilt. Leider sind ihre Entscheidungen nicht immer nachvollziehbar. In den Gesprächen arbeiten wir am Körperbild und daran, mit den Folgen der Operation und des früheren Übergewichts zu leben.
Was würden Sie anderen Menschen raten, die eine Magenoperation in Betracht ziehen?
MG : Man muss wirklich dazu bereit sein und Geduld haben.
LB : Normalerweise geht diesem Eingriff ein langer Prozess mit medizinischer, ernährungsberaterischer und psychologischer Betreuung voraus. Manche fühlen sich bereit, haben es aber nach dem jahrelangen Kampf gegen die Kilos zu eilig. Und weil sie genau wissen, welche Kriterien für den Eingriff erfüllt sein müssen, kann es vorkommen, dass eine Kontraindikation nicht erkannt wird. Trotz aller Vorkehrungen nehmen 20 Prozent der Patientinnen und Patienten nach der Operation wieder deutlich an Gewicht zu.
MG : Die Vorbereitung darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Man muss dem Team um einen herum vertrauen.
Magenverkleinerung: Gewichtsverlust dank chirurgischem Eingriff
Magen-Bypass: Operation, bei der eine Verkleinerung des Magenvolumens mit einer Kurzschliessung des proximalen Teils des Verdauungstrakts kombiniert wird.