„Wie Pingu beim Ultraschall hilft: Kinderradiologe Dr. Rainer Wolf im Gespräch“
Radiologie ist mehr als Röntgen. Und Kinderradiologie ist mehr als das Erstellen von kleinen Bildern. In diesem Bereich braucht es besonders viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Deshalb arbeitet seit September ein Kinderradiologe am HFR. Gespräch mit Dr. med. Rainer Wolf über einen wenig bekannten Bereich der Radiologie, über Patientenkontakte und die „Pingu-Narkose“.
Herr Wolf, Sie sind Facharzt für pädiatrische Radiologie, also ein Kinderradiologe, . Wie kommt man zu dieser Spezialisierung?
Die pädiatrische Radiologie ist ein sehr kleines Fach. Sogar viele Mediziner wissen nicht, dass es uns gibt. Die Kinderradiologie ist eine Subspezialisierung der allgemeinen Radiologie. Das heisst, man macht erst den Facharzt für Radiologie und anschliessend noch zwei – früher drei – Jahre Weiterbildung. Erst dann ist man Kinderradiologe. In der Schweiz gibt es insgesamt gut 30 aktive Fachärzte für Kinderradiologie.
Was unterscheidet die Kinderradiologie von derjenigen für Erwachsene?
Es gibt einen Spruch, der immer wieder gern gesagt wird: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Das Skelett von Kindern befindet sich im Wachstum, das heisst, ihre Knochen sind noch nicht voll ausgebildet. So bestehen die Knochenkerne noch zu grossen Teilen aus Knorpeln, die man auf den Röntgenbildern gar nicht sieht! Das sieht dann auf dem Réntgenbild aus wie bei einer Marionette im Puppentheater: zwei weit voneinander entfernte Knochen und dazwischen nichts. Den Knorpel, der die Knochen verbindet, muss man sich dazwischen denken. Auch die Organe sind noch nicht voll ausgebildet. Zudem gibt es spezifische Krankheiten, die nur Früh- und Neugeboren betreffen. Diese Erkrankungen kenne Erwachsene gar nicht. So kann es sein, dass wir Patienten – zum Beispiel mit angeborenen Herzfehlern - bis ins Erwachsenenalter und darüber hinaus mitbetreuen, zum Beispiel bei gewissen genetischen Erkrankungen. Solche Patienten werden sozusagen mit ihren Pädiatern alt!
Es gibt spezifische Krankheiten, die nur Früh- und Neugeboren betreffen.
Welche speziellen Fähigkeiten braucht man, um mit Kindern zu arbeiten?
Prinzipiell braucht es die Liebe zu Kindern. Ich habe meine Ausbildung in der Erwachsenenradiologie begonnen und irgendwann gemerkt, dass es für mich nicht passt. Während meiner Ausbildung in St. Gallen hatte ich das Glück, für zwei Halbjahres-Rotationen in die Kinderradiologie zu kommen. Dort hatte ich einen sehr guten Ausbildner, der mich inspiriert und motiviert hat. Über ihn habe ich dann meine Liebe zur Kinderradiologie entdeckt. Die Betreuung in der Kinderheilkunde ist extrem patientenorientiert, so wie es sein muss. Alle Fachbereiche arbeiten zusammen. Egal ob Pneumologen, Nephrologen oder Orthopäden: Alle kommen zusammen, um für den Patienten das beste Ergebnis zu bewirken.
Wie führt man radiologische Untersuchungen bei Kindern durch?
Bei Kindern liegt der Schwerpunkt auf der Ultraschall-Diagnostik, weil Ultraschall strahlenfrei und sehr dynamisch anwendbar ist. Das heisst, die Kinder können sich während der Untersuchung bewegen, herumkrabbeln, davonkriechen, oder sich auch wehren. Man bekommt trotzdem ein Ergebnis – was beim Röntgen und “in der Röhre“ praktisch unmöglich ist. Bei diesen Bildgebungsverfahren ist manchmal eine Narkose oder Sedierung nötig, um die Kinder untersuchen zu können.
Worauf achten Sie in der Kinderradiologie besonders?
Für Eltern ist es wichtig, dass sie richtig betreut werden. Es braucht jemanden, der nicht nur über die nötige Erfahrung und Ausbildung verfügt, sondern auch das richtige „Feeling“ hat. So kann eine Kleinigkeit viel ausmachen. Zum Beispiel wird das Ultraschallgel am Gerät auf 37 Grad erwärmt. Das ist viel angenehmer für das Kind. Bei uns geht es also nicht nur um den medizinischen Ansatz, wir achten auf viele kleine Details. Deshalb auch unsere „Pingu-Narkose“, die ich übrigens von Coiffeur meiner Tochter abgeschaut habe! Als sie vier Jahre alt war, ging ich mit ihr zum Coiffeur. Er hat sie auf ein Blechpferd gesetzt und den Fernseher angestellt, auf dem Pingu lief. So konnte er ihr in aller Ruhe die Haare schneiden. Geniale Idee, habe ich mir gedacht, und diese dann später in meiner Abteilung in Bern eingeführt. Kurz darauf haben die Pflegerinnen vom Kindernotfall gesehen, dass wir die Kinder vor dem Fernseher in aller Ruhe untersuchen können. Sie haben die Methode kurzum „Pingu-Narkose“ getauft. Übrigens wurde zwei Wochen später im Kindernotfall ebenfalls einen Fernseher installiert – mit Pingu!
Wie können Eltern ihre Kinder auf eine radiologische Untersuchung vorbereiten?
Bei Säuglingen ist es wichtig, dass sie gestillt sind, also dass man sie im Wartezimmer nochmals stillt, um zu verhindern, dass das Kind unruhig wird, weil es Hunger oder Durst verspürt. Grössere Kinder, die schon Blasenkontrolle haben, sollten unbedingt mit voller Blase zum Ultraschall kommen. Denn die volle Blase hilft uns, beim Ultraschall mehr zu sehen.
Werden auch Kleinkinder untersucht oder gibt es eine Altersuntergrenze?
Die allerkleinsten Patienten, die wir in Bern betreut haben, wogen 375 Gramm. Das entspricht z. B. 3 ¾ Tafeln Schokolade. Und bei diesen Kindern mussten wir unter anderem lesbare Thoraxröntgenbilder anfertigen. Man muss sich das etwa so vorstellen: Eine Lunge ist so gross wie ein Daumen, also beide Lungenflügel sind zwei Daumen nebeneinander.
Die allerkleinsten Patienten, die wir in Bern betreut haben, wogen 375 Gramm. Das entspricht z. B. 3 ¾ Tafeln Schokolade.
Worauf freuen Sie sich hier in Freiburg am meisten?
Ich freue mich auf den Kontakt zu den Patientinnen und Patienten! Ich bin aufgrund der Entwicklung in meiner Abteilung in Bern immer mehr in Richtung Verwaltung und Personalwesen gerutscht. So sind mir meine Patienten ein wenig verloren gegangen. Einige Patienten habe ich 16 Jahre begleitet, von Geburt an. Anfangs sah ich sie regelmässig, in den letzten fünf Jahre dann fast nicht mehr. Dieser Kontakt zu den Patienten, zu sehen, wie die Kinder sich entwickeln – das hat mir gefehlt. Das ist übrigens das Schöne an meinem Beruf: die Beziehung zu unseren Patienten. Die Radiologen sitzen sonst viel vor dem Bildschirm und sehen nur die Bilder der Patienten. Beim Ultraschall sind wir in direktem Kontakt mit dem Patienten und ihren Begleitpersonen. Deshalb freue ich mich besonders darauf, selber wieder mehr Untersuchungen durchzuführen.
Was motiviert Sie denn täglich?
Wenn ich merke, dass ich gebraucht werde. In Freiburg hat man seit Jahren auf einen Kinderradiologen gewartet, jemanden der zwischen Pädiatrie, Radiologie und den anderen Bereichen vermittelt. Das Spital in Freiburg hat eine sehr sympathische Grösse: Hier laufen ganz viele Dinge noch einfach über ein kurzes persönliches Gespräch, und das ist sehr sympathisch. Diese überschaubare Grösse fördert das Zwischenmenschliche und das begünstigt wiederum die Zusammenarbeit. Zusammenarbeit ist wichtig, es gibt keine Einzelkämpfer. Und schon gar nicht, wenn man mit Kindern arbeitet.
Nach dem Staatsexamen in Deutschland kam Dr. med. Rainer Wolf in die Schweiz. Hier arbeitete er zunächst in der Erwachsenen-Chirurgie, bevor er sich auf die Radiologie spezialisierte. Nachdem er den Facharzttitel für Radiologie erlangte, absolvierte er eine Zusatzausbildung zum Facharzt für Kinderradiologie in Stuttgart. Danach arbeitete er im Kinderspital Zürich, zuerst als Oberarzt, später als leitender Arzt und schliesslich als Leiter der Kinderradiologie in Bern am Inselspital.
Dr. med. Rainer Wolf ist Vorsitzender der Prüfungskommission für Kinderradiologie und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie.