„Eine Geste der Zuwendung – das hat mir am meisten geholfen“

Ein Operationssaal hat nichts Behagliches, im Gegenteil: Um Sie herum metallene Geräusche, grelles Licht und kühle Luft; Sie haben Angst, vielleicht Schmerzen und sind einer maskierten Truppe ausgeliefert, die sich konzentriert an Ihnen zu schaffen macht. Und mittendrin jemand, der freundlich zu Ihnen spricht, der für Ihre Sicherheit und Ihren Komfort sorgt. Ihre Beziehung zu dieser Person wird zwar flüchtig, aber umso intensiver sein. Das erlebte auch der 27-jährige Eliot Olivier, der an einem Sonntagabend im Mai notfallmässig operiert werden musste: Von den drei Tagen, die er im Spital verbrachte, sind ihm die zehn Minuten, die Anästhesiepflegefachfrau Patricia Oswald an seiner Seite verbrachte, am meisten geblieben.

Welche Umstände haben Sie zu Patricia geführt?
Eliot Olivier: Am Freitag wurde ich von einer Katze in die Hand gebissen. Darauf ging ich ins HFR Riaz, wo die Wunde gereinigt wurde. Anschliessend konnte ich wieder nach Hause, mit einem Terminaufgebot für Sonntag um 9 Uhr. Ich dachte wirklich, es sei nur für eine Kontrolle. Aber so sehr ich es verdrängen wollte, die Hand schwoll von Samstag auf Sonntag stark an. Weil sich einer der Bisse infiziert hatte, wurde ich nach Freiburg geschickt.

Dort teilte mir der Orthopäde mit, dass eine Operation notwendig sei. Ich brach in Tränen aus, denn ich habe eine Riesenangst vor Spritzen, Skalpellen, Operationssälen usw. Ich war noch nie operiert worden und war enorm gestresst. Nachdem ich im Zimmer lange gewartet hatte, wurde ich gegen 19 Uhr in den Operationssaal gebracht.

Und dort sind Sie einander begegnet!
Patricia Oswald: Genau. Ich trat um 19 Uhr gerade meine zwölfstündige Nachtschicht an, als man mir mitteilte, gleich komme eine Handverletzung, wie wir im Spital sagen. In der Schleuse am Eingang des Operationssaals sah ich Eliot das erste Mal. Meine Kollegin, die Ärztin, stellte ihm die üblichen Fragen zu Allergien usw. Dabei bemerkte ich, dass er enorm gestresst und völlig aufgelöst war. Ich spürte, dass die Situation für ihn sehr schwierig sein musste. Als Anästhesiefachpersonen ist es auch unsere Aufgabe, zu beobachten, in welchem Gemütszustand unsere Patientinnen und Patienten sind, und dafür zu sorgen, ihr Vertrauen zu gewinnen. Das Wichtigste ist, dass sie sich gut aufgehoben fühlen.

Aber dafür bleibt Ihnen nur sehr wenig Zeit...
PO: Richtig, nur ein paar Minuten. Ich kannte ihn nicht, nur seinen Namen und sein Geburtsdatum. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen und wusste nichts über ihn. Also bereitete ich alles für die Anästhesie vor: Geräte, Medikamente ... alles war bereit. [zu Eliot gewandt] Das war schwierig für Sie, das habe ich gesehen! Deshalb versuchte ich, diesen Moment so beruhigend wie möglich zu gestalten.

Wie gingen Sie vor?
PO: Ich arbeite seit mehr als zwanzig Jahren im OP. Ich bemühe mich immer, den Patientinnen und Patienten einfühlsam und verständnisvoll zu begegnen. Was für uns alltäglich und normal ist, ist für sie ein einmaliges, aussergewöhnliches Ereignis. Eine Operation bleibt einem lange in Erinnerung, vielleicht ein Leben lang! Deshalb ist es wichtig, sie so angenehm wie möglich zu gestalten. Wir müssen uns auf die Person konzentrieren, wahrnehmen, wie sie die Situation erlebt und allenfalls versuchen, sie auf andere Gedanken zu bringen. Aber natürlich ist es schwierig, an etwas Schönes zu denken, wenn man in einer fremden Umgebung und sehr nervös ist!

EO: Ich schaute mich krampfhaft nach den Skalpellen um. Ich konnte an nichts anderes denken!

Was haben Sie dann mit Eliot gemacht?
PO: Oft frage ich die Person, was sie im Leben so macht und welche Hobbys sie hat. Das hilft, ins Gespräch zu kommen. [zu Eliot gewandt:] Sie sagten mir, Sie würden gerne Velo fahren, aber ich merkte gleich, dass Sie nicht in der Stimmung waren, weiter darauf einzugehen. Also habe ich Ihre Aufmerksamkeit auf Ihren Atem gelenkt und Musik abgespielt, um die Umgebungsgeräusche etwas zu übertönen. Ich habe eine Playlist und halte der Person mein Handy ans Ohr. Manchmal hilft alles nichts. Manche sind so gestresst, dass sie kaum abzulenken sind. Dann hilft nur eines: vorwärtsmachen!

Eliot wollte nichts sehen, nichts hören, nur so schnell wie möglich einschlafen. Andere fragen uns ein Loch in den Bauch, wollen alles erklärt haben, was gerade passiert. Wir versuchen, uns jedem Patienten anzupassen.

Wovor hatten Sie am meisten Angst, Eliot?
EO: Es war nicht der Schmerz, den bin ich als Leistungssportler gewohnt. Ich hatte auch keine Angst, dass ich nicht mehr aufwachen würde. Es ist mehr, dass man mich im Innern meines Körpers berührt. Wunden sehe ich mir nie an: Mein Verband wurde zwar schon sechsmal gewechselt, aber meine Hand habe ich noch nie angeschaut! Dazu kommt mir etwas in den Sinn: Als Jugendlicher hat mir meine erste Freundin erzählt, sie habe eine Narbe am Knie. Danach habe ich ihre Knie kein einziges Mal berührt! Bei der Fahrt nach Freiburg hatte ich noch den Katheter im Arm. Das Steuer hielt ich dann nur mit der rechten Hand, weil ich dem linken Arm mit diesem kleinen Plastikding nicht traute.

Die Narkose einzuleiten war wohl nicht ganz einfach...
PO: Der Katheter war ja schon da, und weil man das Anästhetikum bei Erwachsenen mit der Infusion verabreicht, war das kein Problem. Bei der Anästhesie ist man immer zu zweit. Die Assistenzärztin verabreichte die Medikamente und ich blieb am Kopfende, um Eliot zu beruhigen und ihm Sauerstoff zu verabreichen. Wir geben immer ein paar Minuten lang reinen Sauerstoff. [zu Eliot gewandt:] Mich hat erstaunt, dass Sie die Maske so gut vertragen haben.

EO: Weil ich wusste, dass sie mir beim Einschlafen helfen würde.

Die Maske hilft eigentlich nicht beim Einschlafen...
EO: Nicht? Ach so!

PO: Das Narkosemittel wird über die Infusion verabreicht. Die Maske sorgt nur für eine ausreichende Sauerstoffreserve, sie ist in dem Sinn eine Sicherheitsvorkehrung. Ausserdem hilft sie den Patienten, sich auf ihre Atmung zu fokussieren. Das hilft ihnen oft, sich wieder etwas zu fangen und negative Emotionen besser zu steuern.

Hat Ihnen das auch geholfen, Eliot?
EO: Sehr. Weil ich dachte, ich würde nun endlich einschlafen, gelang es mir, mich auf meinen Atem zu konzentrieren. Ich sagte mir: „Je tiefer ich jetzt atme, desto schneller schlafe ich ein!“ Die Atmung ist auf jeden Fall ein nützliches Werkzeug. Auch die Musik war bestimmt hilfreich, und Ihre sanfte Stimme, Ihre ruhige Art.

Am meisten hätte mir allerdings geholfen, wenn mir schon am Nachmittag jemand gesagt hätte, ich könne eine Vollnarkose haben. Zwischen 12 und 19 Uhr ging mir nur eine Frage im Kopf herum: „Werde ich während des Eingriffs schlafen oder nicht?“

PO: Ja, eine Vollnarkose ist immer möglich.

Gut. Der Patient schläft, es sind keine psychologischen Bewältigungsstrategien mehr nötig. Blieben Sie auch danach die ganze Zeit bei Eliot?Ja, die ganze Zeit. Und das sage ich den Patientinnen und Patienten auch, es beruhigt sie.

EO: Vorher hat sie noch etwas anderes gemacht: Sie hat mir die Hand auf die Schulter gelegt. Das hat mir vermutlich am meisten geholfen. Eine Geste der Zuwendung in diesem kalten Raum. [zu Patricia gewandt:] Jetzt kann ich es Ihnen ja sagen: Ich habe mich wie in den Armen meiner Mutter gefühlt! So geborgen ... 

PO: Oh! Ja, ich hatte tatsächlich den Eindruck, dass Sie etwas zur Ruhe kamen, bevor Sie eingeschlafen sind.

Angenommen, Sie müssten sich erneut operieren lassen: Wäre es weniger schlimm?
EO: Ich glaube nicht!

PO: Eine einfühlsame Betreuung ist sehr wichtig. Ich glaube, diese bleibt einem wirklich in Erinnerung und kann beeinflussen, wie man solche Situationen in Zukunft erlebt. Obwohl ich diesen Aspekt sehr wichtig finde, geht er meiner Ansicht nach immer mehr verloren. Weil alles immer schneller gehen muss, bleibt das Zwischenmenschliche auf der Strecke. Wir operieren rund um die Uhr, das Programm ist enorm dicht. Dabei rückt das Erleben des Patienten in den Hintergrund. Aber das sollte es nicht! Deshalb mache ich zurzeit einen CAS in Hypnosetechnik. Hypnose ist ein zusätzliches Kommunikationsinstrument, das hilft, mit dem Patienten eine therapeutische Beziehung aufzubauen.

EO: [zu Patricia gewandt:] Haben Sie mich hypnotisiert?

PO: Nein, nicht wirklich. Ich bin vor allem meinem Gefühl gefolgt, dass Sie sehr nervös waren. Das ist oft schon ein wichtiger Schritt. Viele sagen dann: „Hab keine Angst, es kommt schon gut!“ Aber so fühlt sich der Patient in seiner Angst und seiner Sorge nicht ernstgenommen. Man muss darauf eingehen, wie er selbst die Situation wahrnimmt. Und ihm dann Ruhe und Sicherheit vermitteln.

Zusammen mit einer Kollegin möchte ich für den OP-Trakt Kurse in therapeutischer Kommunikation auf die Beine stellen. Mit dem vielen Personal, den vielen Wechseln und der vielen Arbeit wäre es gut, die Mitarbeitenden zu sensibilisieren. Schon die richtige Wortwahl kann viel bewirken: Es gibt Wörter, die tun einem nur schon beim Hören weh, wie schneiden, nähen, stechen. Auch sollten wir im OP darauf achten, wie wir miteinander umgehen. Der OP ist lärmig, viele sprechen mit lauter Stimme. Es ist ein ständiger Kampf um mehr Ruhe.

Neben der Wortwahl spielt auch das Verhalten eine Rolle. Wir kommunizieren auf drei Ebenen: auf der verbalen, der paraverbalen – Tonfall, Sprechrhythmus – und der nonverbalen Ebene, also der Körpersprache. Der Patient nimmt wahr, ob sich der Pfleger neben ihm hektisch bewegt oder Gelassenheit ausstrahlt.

EO: Ja, ich spürte Ihre Ruhe und dass Sie für mich da waren.

Das ist entscheidend!
PO: In der Tat: Die Zeit, die wir mit den Patientinnen und Patienten verbringen, ist kurz, aber der Austausch, der Kontakt dafür sehr intensiv. Diese Beziehung ist für uns in der Anästhesie wichtig. Sie ist jedes Mal anders, aber immer stark. Dies macht unsere Rolle auch so wichtig: Oft sind wir es, die im OP den meisten direkten Kontakt mit den Patientinnen und Patienten haben.

EO: Sogar während des gesamten Aufenthalts! Von allen drei Tagen war dies für mich der wichtigste Moment. Es war zwar der kürzeste Kontakt, aber der intensivste.

PO: Ich habe den Eindruck, ich konnte hier jemandem helfen, einen wichtigen Augenblick im Leben zu bewältigen ...

EO: [Zu Patricia gewandt:] Und ob! Danke vielmals!

PO: Aber gerne doch, umso besser! Ich bin gerührt ...

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