Im Auftrag für den Schutz von Patienten und Mitarbeitenden

Die Abteilung Spitalhygiene hat die Aufgabe, die Patienten und das Personal vor Infektionen zu schützen, die im Spital auftreten. Aber wie ist das während einer heftigen Epidemie überhaupt möglich? Der Infektiologe Prof. Dr. med. Christian Chuard erzählt, was sein Team im Kampf gegen das Virus geleistet hat.

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Prof. Dr. med. Christian Chuard

Prof. Dr. med. Christian Chuard

Professor Chuard, hat der Druck jetzt, Ende Mai 2020, etwas nachgelassen?
Wir standen in den letzten Monaten wahrlich unter enormem Druck. Jetzt sind wir aus der Hitze des Gefechts heraus und es geht uns etwas besser. Die Arbeit geht aber weiter, und wir müssen zudem aufholen, was während der Krise warten musste: Die Patientinnen und Patienten kommen zurück ins Spital und wir wollen sie angemessen betreuen. Aber unsere Abteilung steht nicht mehr so stark unter Druck wie am Anfang, als alles noch unbekannt war und wir den Ängsten des Personals begegnen mussten.

Überwachen Sie im Rahmen Ihrer Funktion auch die epidemischen Entwicklungen auf der ganzen Welt?
Ja, ein grosser Teil der Routinearbeit unserer Abteilung besteht in der Überwachung. In den vergangenen Jahren haben wir uns dabei hauptsächlich auf multiresistente Bakterien konzentriert. In der Vergangenheit mussten wir bereits mehrmals schnell auf sanitäre Krisen, d. h. Epidemien reagieren: SARS im Jahr 2002, die Influenza-Pandemie H1N1 2009, Ebola und Zika, die sich in der Schweiz zum Glück als Fehlalarm herausstellten, uns aber erlaubten, bestimmte Protokolle zur Vorbereitung auf ein Grossereignis zu testen. Sich auf etwas vorzubereiten und es tatsächlich zu erleben, sind aber in jedem Fall zwei ganz unterschiedliche Dinge.

Wann haben Sie zum ersten Mal vom neuen Coronavirus gehört?
Zur gleichen Zeit wie der Rest der Welt, als im Dezember 2019 ein Artikel in der allgemeinen Presse erschien. Bei mir machte es sofort Klick, und ich dachte, dass wir ein zweites SARS erleben werden. Das hat mich seltsamerweise beruhigt, denn obwohl SARS uns damals sehr grosse Sorgen bereitet hatte, trat es praktisch nicht ausserhalb von Asien auf. Ich schätzte das Risiko von COVID-19 daher als nicht so gross ein ... was natürlich ein Trugschluss war, aber im Dezember sah noch niemand die Katastrophe kommen.

An welchem Punkt haben Sie gemerkt, dass es anders kommt?
Als ich die ersten Bilder aus Wuhan sah, bekam ich Angst. Im Januar erfuhren wir dann, dass die Patienten ansteckend sind, bevor sie Symptome entwickeln. Das ändert alles! SARS konnte man kontrollieren, weil die Patienten erst einige Tage nach Auftreten der Symptome ansteckend waren. In der aktuellen Situation ist das nicht so einfach, denn die Patienten können das Virus trotz weniger oder keiner Symptome übertragen.

Wie haben Sie reagiert?
Wir haben die SARS-Protokolle hervorgeholt und uns viel Zeit genommen, um uns vorzubereiten. Dabei hatten wir immer die leise Hoffnung, dass es nicht zum Ernstfall kommt. Bis dann die Welle über uns einbrach. Zum Glück war sie weniger gross als in Italien, aber trotzdem war das gesamte Spital in unsere Vorbereitung involviert, und zwar seit Anfang März.

Worin bestand diese Vorbereitung genau?
Zunächst mussten wir verstehen, was in China unternommen wurde, also welche Massnahmen umgesetzt und welche Protokolle herausgegeben wurden. Danach haben auch die wissenschaftlichen Gesellschaften der westlichen Welt Empfehlungen veröffentlicht. Die Schweizer Gesundheitsbehörden mussten sehr schnell Protokolle verwerfen, die auf ein Nullrisiko abzielten, was im Übrigen sowieso eine Illusion ist. Wir wussten, dass es nun darum ging, den Schaden zu begrenzen und den Betrieb der Spitäler und des Gesundheitssystems im weiteren Sinne aufrechtzuerhalten. Es war für uns ein grosser Schock, als wir feststellten, dass auch die realistischen Protokolle gefährdet sind, wenn wir nicht genügend Material zur Verfügung haben.

Was haben Sie dann gemacht?
Das war einer der schwierigsten Momente. Wir mussten Szenarien skizzieren für den Fall, dass man die Versorgung nicht mehr zu 100 Prozent garantieren kann, sondern nur noch zu 95 Prozent usw. Wir waren erleichtert, dass nicht nur das HFR mit diesem Problem konfrontiert war; alle befanden sich in der gleichen Situation und das Material war für alle knapp. In Freiburg und in der Schweiz im Allgemeinen hatten wir jedoch Glück: Wir waren nie so weit, dass wir ohne angemessene Schutzausrüstung arbeiten mussten. Zwar mussten wir den Mitarbeitenden sagen, sie sollen die Maske vier statt zwei Stunden lang tragen, aber der Schutz war dadurch nicht beeinträchtigt. In der Schweiz musste das Gesundheitspersonal zum Glück nicht das eigene Leben aufs Spiel setzen, um Patienten zu retten, obwohl alle Berufsgruppen im Kampf gegen das Virus viel Mut gezeigt haben. Ich bin mir sicher, wenn sie sich dem Virus hätten aussetzen müssen, hätten sie es getan.

Wie haben Sie die Sicherheitsprotokolle im gesamten Spital umgesetzt?
Die Zeit war sehr knapp. Am Anfang gab es eine etwas chaotische Phase, in der die Weisungen ständig änderten. Ich kann verstehen, dass einige Mitarbeitende dachten, dass wir selbst nicht wussten, wovon wir reden. Das lag aber nicht daran, dass wir unsere Arbeit schlecht gemacht hätten, sondern wir mussten uns angesichts der rasanten Entwicklung der Krise schnell anpassen, um die tagesaktuellen Empfehlungen bestmöglich umzusetzen.

Was haben Sie zum Schutz der Patienten unternommen?
Wir haben uns sehr schnell für ein System mit separaten Behandlungspfaden entschieden. Damit wurden die Patienten, die möglicherweise an COVID-19 erkrankt waren, von den nicht infizierten Patienten getrennt. Die Trennung geschah dabei sowohl auf physischer wie auf organisatorischer Ebene: Wir haben vor dem Spital Zelte aufgestellt und den gesamten Betreuungsablauf neu geregelt. Im Nachhinein haben wir festgestellt, dass das alle Spitäler so gemacht haben, aber es fand keine Absprache untereinander statt.

Und zum Schutz des Personals?
Wir mussten für jede Abteilung und jede Art von Behandlung definieren, welches Protokoll am besten geeignet ist. Die Intensivpflege ist sich gewohnt, Patienten mit ansteckenden Krankheiten zu betreuen, und die Teams waren bereits geübt. In den übrigen Abteilungen sah es anders aus. Ein Protokoll umfasst eine oder zwei Seiten mit Anweisungen, aber es genügt nicht, alles aufzuschreiben, damit es gut funktioniert. Man muss auch erklären und vor allem schulen. Die Pflegefachpersonen der Abteilung Spitalhygiene verbrachten 80 Prozent ihrer Zeit damit, den Mitarbeitenden persönlich zu zeigen, wie sie die Schutzausrüstung richtig anlegen und ausziehen und wie man sich um ansteckende Patienten kümmert.

Welche Probleme hat es während dieser Einführung gegeben?

Das Personal hat sich mutig dem Kampf gestellt. Die meisten Mitarbeitenden haben uns vertraut, aber einige machten sich Sorgen und schauten daher, was andernorts gemacht wird: «Weshalb haben wir keine Schutzanzüge wie in China? Wieso desinfizieren wir die Räume nicht mit einem Nebelsystem?» Wir mussten beruhigen und viel erklären, weshalb die getroffenen Massnahmen ausreichen.

Und es hat funktioniert, denn nur sehr wenige Mitarbeitende haben sich angesteckt ...
Es sind Mitarbeiter erkrankt, aber nicht alle haben sich im Spital angesteckt. Wir haben Anhaltspunkte dafür, dass es mindestens ebenso viele Infektionen bei Mitarbeitenden gab, die keinen direkten Patientenkontakt hatten, wie bei denen, die täglich Patienten betreuten. Dies hat sich in anderen Spitälern im Ausland deutlich gezeigt, wo es nicht an Schutzausrüstung fehlte. Und es gibt eine Abteilung, in der sich anscheinend keine Mitarbeitenden infiziert haben: die Intensivpflege.

Haben Sie den ersten COVID-Patienten am HFR getroffen?
Meine Kollegin, Dr. med. Erard, hat sich um ihn gekümmert. Dem Patienten ging es sehr gut. Wir hatten keine andere Wahl, als unseren ersten COVID-Fall stationär aufzunehmen, aber nach zehn Tagen nahmen wir keine Patienten mehr auf, die «nur» leichte Grippesymptome hatten.

Dann traten aber die ersten schweren Fälle auf ...
Ja, eine oder zwei Wochen später kamen viele schwer kranke Patienten ins Spital und ab diesem Zeitpunkt musste jeden Tag einer oder mehrere Patienten wegen der Infektion mit dem Coronavirus beatmet werden.

Haben Sie mit Universitätsinstituten und anderen Schweizer Spitälern zusammengearbeitet?
Natürlich! Tatsächlich tun wir dies das ganze Jahr über für alle Pathologien. In der Abteilung Spitalhygiene des HFR sind wir nur zwei Spezialisten: Dr. med. Véronique Erard und ich. Daher waren wir froh, uns mit Kollegen auszutauschen. Das hat uns sehr geholfen. Und es war beruhigend, zu sehen, dass andere das gleiche erleben wie wir. Egal wie gross das Spital ist, alle hatten die gleichen organisatorischen Schwierigkeiten und mussten bei den Mitarbeitenden dieselben Sorgen und Ängste abbauen.

Die Krisenzeit war für Sie sicherlich ein einmaliges Erlebnis.
Ja, es war der Höhepunkt in meiner bisherigen Laufbahn als Infektiologe.

Gibt es eine Situation, die Ihnen besonders in Erinnerung bleiben wird?
Eines Tages rief mich ein Patient an, weil er sich nicht traute, zu einem Termin zu kommen. «Es ist zu gefährlich!», sagte er. Ich erklärte ihm, dass er im Spital sicher sei und nichts riskiere, trotzdem weigerte er sich, zum Termin zu erscheinen. Als ich den Telefonhörer auflegte, dachte ich mir: «Er hat wohl zu viele Bilder von Menschen in Schutzanzügen im Fernsehen gesehen. Wir sind doch hier nicht in China!» Und genau in diesem Moment sah ich vor meinem Fenster drei Militärlastwagen vorbeifahren. Als ich am Morgen zur Arbeit kam, musste ich einem Soldaten meinen Mitarbeiterausweis vorweisen ... Da habe ich realisiert, dass das Spital für die Öffentlichkeit gerade nicht viel Sicherheit ausstrahlt, sondern eher Tschernobyl am Tag nach der Katastrophe gleicht.

Wie haben Sie persönlich den Lockdown erlebt?
Ich habe gar nicht viel davon gemerkt. Ich hatte das Glück, dass ich weiterarbeiten und gemeinsam mit meinen Kollegen unseren Auftrag erfüllen konnte. Wir haben getan, was getan werden musste, und darauf können wir stolz sein.

H24 / Frühling 2020