Knacknuss Patientenandrang

Jahr für Jahr verzeichnen die Notaufnahmen neue Patientenrekorde mit teilweise sehr grossen Belegungsschwankungen. Eine echte Knacknuss.

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Dr. med. Vincent Ribordy

Dr. med. Vincent Ribordy

Im Kanton Freiburg wie in der übrigen Schweiz und anderen westlichen Ländern stellt die Steuerung der Patientenströme eine schwierige Aufgabe für die Notfallstationen dar. «Es ist eine konstante Herausforderung», so Dr. med. Vincent Ribordy, Chefarzt transversal und Leiter der Notaufnahme am Standort Freiburg. «Der Bedarf der Bevölkerung an Notfallpflege nimmt aus demografischen wie gesellschaftlichen Gründen stetig zu. Und die Strukturen passen sich langsamer an, als die Bedürfnisse steigen. Wir können daher nur reagieren, anstatt zu antizipieren. Das gleiche Phänomen lässt sich bei Strassen, Schulen oder Gefängnissen beobachten.» Bevölkerungswachstum und -alterung, Hausärztemangel, eine Kultur, in der alles sofort geschehen muss, sowie Unwissen über Alternativen sind die Hauptursachen für die zunehmende Auslastung der Notaufnahmen. Um dem Patientenandrang zu begegnen, setzt die Notaufnahme des HFR Freiburg – Kantonsspitals alles daran, mehr Platz zu schaffen und die klinischen Pfade zu optimieren – ohne dabei den Komfort für die Patienten aus den Augen zu verlieren. In einer ersten Bauphase, die im März 2018 abgeschlossen werden konnte, wurden der Empfang sowie der ambulante Behandlungsbereich des Erwachsenennotfalls komplett neu eingerichtet. Die zweite Umbauphase, die bis August 2019 dauerte, betraf den Kindernotfall, der ebenfalls eine konstante Tätigkeitszunahme verzeichnet (siehe Seite 10). Und vor Kurzem ist die dritte Umbauphase gestartet: Während zweier Jahre wird der Hauptbereich des Erwachsenennotfalls neu gestaltet, um die Effizienz und Ergonomie der Abteilung zu steigern. Dr. med. Ribordy ist sich aber auch bewusst, dass es weiteres Optimierungspotenzial gibt, etwa was die Personalplanung oder den verfügbaren Platz angeht. 

Zwischen 30 und 100 Patienten pro Tag 

Die Belegungsspitzen sind eine weitere Herausforderung, mit der die Notaufnahme konfrontiert ist. «Im Kindernotfall haben wir 2018 17’000 Fälle betreut, was einem Durchschnitt von rund 46 Patienten pro Tag entspricht», erklärt Dr. med. Cosette Pharisa Rochat, Leitende Ärztin und Leiterin des Kindernotfalls. «Tatsächlich schwanken die Patientenzahlen aber extrem und reichen von 30 Patienten an einem Sommertag bis hin zu 100 Patienten an einem Samstag oder Sonntag im Winter. Im Januar und Februar 2019 hatten wir zum Teil Spitzen von zehn Neueintritten pro Stunde, also gleich viele Patienten in drei Stunden, wie wir sonst an ruhigen Tagen in 24 Stunden betreuen.» Auch im Erwachsenennotfall, wo täglich zwischen 80 und 130 Patienten versorgt werden, ist der Winter die strengste Zeit, so Dr. med. Ribordy. «Anders als man meint, passieren die meisten Unfälle nicht beim Skifahren, sondern wenn in den Tälern der erste Schnee fällt und die Gehwege einfrieren. Hinzu kommen saisonale Krankheiten wie Grippe, Magen-Darm oder Bronchitis – da spielen mehrere Faktoren zusammen. Natürlich sind wir auch von den Öffnungszeiten der Hausärzte und der Organisation des ärztlichen Bereitschaftsdiensts abhängig. Wenn die Allgemeinmediziner in den Ferien sind, spüren wir das direkt in der Notaufnahme.» Es kann auch vorkommen, dass Patienten auf der Notaufnahme bleiben müssen, weil auf der betreffenden Abteilung kein Bett frei ist. «Diese Belegungsschwankungen sind zwar normal und auf menschliche Faktoren zurückzuführen, sind aber im Alltag schwer vorherzusehen. Bei der Planung unserer Mitarbeitenden beziehen wir uns daher hauptsächlich auf die durchschnittlichen Patientenzahlen der jeweiligen Jahreszeit. Das ist ein vernünftiger Kompromiss», führt Dr. med. Pharisa Rochat aus. Zum Schluss betonen die beiden Fachärzte, dass die Patienten sowohl im Kinder- wie auch im Erwachsenennotfall nach medizinischer Dringlichkeit und nicht nach der Reihenfolge ihrer Ankunft behandelt werden. Die Wartezeit variiert daher je nach Schwere der Fälle und kann sich für Personen mit weniger dringlichen Leiden erheblich verlängern. 

H24 NR 9/Herbst 2019