Mit Mut und Solidarität gegen die Krise

Die Ärzte und Pflegemitarbeitenden setzen sich täglich dafür ein, Leben zu retten. Während der Coronavirus-Pandemie kämpften die Teams an vorderster Front gegen eine unbekannte Krankheit, stellten sich neuen Herausforderungen und leisteten dabei Ausserordentliches.

Februar 2020: In Italien und im Tessin herrscht der Ausnahmezustand. Was noch wenige Wochen zuvor «nur eine Grippe» war, nimmt plötzlich völlig neue Ausmasse an. Ein unbekanntes, hoch ansteckendes und sehr viel tödlicheres Virus breitet sich unaufhaltsam aus: Die Coronavirus-Pandemie hat auch Freiburg erreicht. Wir müssen handeln, und zwar schnell.

Das HFR wappnet sich

Während die Abteilung Spitalhygiene und die Infektiologen eine Weisung nach der anderen zu Schutz- und Hygienemassnahmen (siehe Artikel Seite 16) verfassten, passten die betroffenen Abteilungen ihre Infrastruktur an. In den Notaufnahmen – der Haupteintrittspforte der Patienten – wurden voneinander getrennte Behandlungspfade für COVID- und Nicht-COVID-Patienten eingerichtet. Am HFR Freiburg – Kantonsspital wurden sämtliche Renovierungsarbeiten gestoppt und Trennwände entfernt, um die Aufnahmekapazität zu erhöhen.

Die grössten strukturellen Veränderungen betrafen die Intensivpflegestationen, auf denen COVID-Patienten versorgt werden. Innerhalb eines Wochenendes schuf die Abteilung Logistik eine Verbindung zwischen den Zimmern der Intensivpflegestation, um diese zu einer geschlossenen Einheit mit Sicherheitsschleusen am Ein- und Ausgang zu machen und die Zirkulation zwischen den Zimmern zu erleichtern. Dr. med. Hatem Ksouri, Leitender Arzt Intensivpflege, ist froh über den raschen Entscheidungsprozess: «Die Kommandozentrale reagierte sehr schnell und die Logistik hat bemerkenswerte Arbeit geleistet ‒ ich war sehr beeindruckt.»

«Am Anfang wussten wir nichts über die Krankheit.»

Ein unbekannter Gegner

Das Coronavirus hat den Alltag der Ärzte- und Pflegeteams auf den Kopf gestellt. «Am Anfang wussten wir nichts über diese Krankheit», erklärt Jean-Daniel Vonlanthen, Stationsleiter Pflege. Wie hoch ist die Ansteckungsrate? Wie sind die Atemwege betroffen? Wieso erkranken bestimmte Personen stärker als andere? Welche Faktoren beeinflussen den Krankheitsverlauf? Auf diese Fragen hatten die Teams keine Antworten und die Wissenschaft lieferte oftmals widersprüchliche Informationen. Unter diesen Bedingungen war es schwierig, Kollegen und Angehörige von Patienten zu beruhigen.

Denn angesichts des Sturms, der auf die Frauen und Männer in Schürze, Schutzbrille und Maske einbrach, waren auch sie nicht frei von Ängsten. Angst davor, sich anzustecken, nicht genügend Schutzausrüstung zu haben oder die gleiche Situation wie im Osten Frankreichs oder in Italien zu erleben. Sorgen, die durch die Medien zusätzlich geschürt wurden und die Mitarbeitenden oft mit nach Hause begleiteten.

«Niemand hat gekniffen, sondern alle haben die Ärmel hochgekrempelt und mitangepackt.»

Bemerkenswerter Mut

Ärzte und Stationsleiter sind sich einig: «Unsere Teams haben Unglaubliches geleistet! Sie haben trotz der spürbaren Verunsicherung nicht aufgegeben und sich solidarischer denn je gezeigt. Niemand hat gekniffen, sondern alle haben die Ärmel hochgekrempelt und mitangepackt.» Die Anerkennung und Dankbarkeit der Verantwortlichen gilt auch den übrigen Abteilungen, mit denen sie eng zusammenarbeiteten: Spitalhygiene, Logistik, Bettenzentrale, Reinigung usw. «Wenn wir die Ergebnisse der COVID-Abstriche um 22 Uhr erhielten, mussten danach vier bis fünf Zimmer komplett desinfiziert und die Betten rasch verlegt werden ‒ das gab es so noch nie», erzählen die Stationsleiter Souhayla Saïdani und Didier Castaings.

Die Teams haben bemerkenswerten Mut bewiesen und sich zahlreichen Herausforderungen gestellt: Sie mussten sich stets über die neuesten Erkenntnisse zum Coronavirus informieren, den Bestand an Desinfektionsmittel, Schürzen und Masken – die so begehrt waren, dass sie zeitweise unter Verschluss gehalten werden mussten – sowie die Teams in den Tages- und Nachtschichten verwalten, den Bereitschaftsdienst organisieren und sich vor allem um die Patienten und ihre Angehörigen kümmern.

Belastungsprobe für die Familien

Die Notaufnahmen empfingen fast nur noch COVID-Patienten, die Betreuung verlief flüssig und die Zusammenarbeit mit der Inneren Medizin und der Intensivpflege klappte so gut, dass sich eine Art Routine einspielte. Für die Familien von betroffenen Patienten bedeutete das Virus aber oftmals einen Schock. Sie waren «wie vom Blitz getroffen», berichtet Dr Thomas Schmutz, stellvertretender Chefarzt der Notaufnahme.

Auch in den Gängen des Spitals war die Stimmung gedrückt. Durch das Besuchsverbot (ausser in Ausnahmefällen) fühlten sich viele Patienten einsam. Um ihnen zu helfen, rüsteten sich die Teams mit Mobiltelefonen und organisierten Videoanrufe. Das beruhigte die Familien und ermöglichte es ihnen, die Ärzte und Pflegenden kennenzulernen, die sich um ihren Angehörigen kümmerten. Eine Massnahme, die insbesondere von den Familien der französischen Patienten geschätzt wurde, wie Jean-Daniel Vonlanthen erklärt.

«Das Coronavirus war eine grosse Belastung für die Familien, erklärt Dr Hatem Ksouri. Sie erwarteten eine genaue Prognose, was aber oftmals schwierig war. Manche wollten, dass ihre Angehörigen mit Chloroquin behandelt werden, weil sie im Fernsehen Berichte darüber gesehen hatten. Das war aber nicht immer sinnvoll, weil wir bei Patienten mit schwerer Lungenentzündung nicht genügend Erfahrung mit dieser Behandlung hatten. Unsere Aufgabe bestand darin, ihnen die Situation bestmöglich zu erklären und sie zu beruhigen, denn viele hatten Angst, sich ins Spital zu begeben oder ihre Angehörigen auch nur zu berühren. Bei Patienten am Lebensende wurden die Angehörigen und die Patienten psychologisch betreut. Es ist übrigens kein Patient alleine verstorben, es war immer ein Angehöriger anwesend», erklärt der Arzt weiter.

Auch für das Ärzte- und Pflegeteam war die Situation sehr belastend, besonders weil sich unter den Patienten der Intensivpflege auch Familienmitglieder oder Freunde von ihnen befanden. Sie mussten ihre Gefühle bewältigen und sich um ihre Familien kümmern ‒ keine einfache Aufgabe. Aber auch in der dunkelsten Stunde zeigten sich Hoffnungsschimmer.

Alle gemeinsam

Die Krise war noch in vollem Gange, als der erste Patient die Intensivpflege verlassen konnte. Das verlieh allen Teams neuen Elan: Wir haben es geschafft, unsere Arbeit zahlt sich aus! Gleichzeitig traf die Armee zur Verstärkung ein und brachte Material und Hilfskräfte für die Organisation mit. Rund 50 Soldaten unterstützten den Standort Freiburg und übernahmen bestimmte Pflegemassnahmen wie das Legen von Infusionen oder einfache Verbände. «Die Soldaten waren dynamisch und proaktiv. Sie integrierten sich sehr gut in die Teams», so Dr Hatem Ksouri. Andere kümmerten sich um die Reinigung und Desinfektion in den COVID- und Nicht-COVID-Abteilungen oder halfen bei der Triage am Eingang des Spitals und in der Bettenzentrale mit.

Souhayla Saïdani war besonders berührt von der Unterstützung der anderen Abteilungen wie der Pädiatrie oder der Gynäkologie, aber auch von der Solidarität der Kollegen der übrigen Standorte, die motiviert mitanpackten. «Einige haben sogar vorübergehend in einer anderen Funktion gearbeitet», berichtet die Stationsleiterin. Ihr Kollege, Didier Castaings, erinnert daran, dass auch sie ihm an einem freien Sonntag ohne zu zögern zu Hilfe eilte, nachdem er ihr eine WhatsApp-Nachricht geschickt hatte. «Stimmt, wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt», sagt sie lächelnd.

Rückkehr zur Normalität

Anfang Mai beruhigte sich die Lage langsam: Die Zahl der COVID-Patienten stabilisierte sich und nahm dann stetig ab. Was aber nicht bedeutete, dass auch die Tätigkeit im Spital zurückging: «Wir nahmen eine zweite Welle an Patienten in der Intensivpflege auf», sagt Dr. Hatem Ksouri. Keine COVID-Patienten, sondern solche mit psychiatrischer Dekompensation, die unter Schock standen, also in jedem Fall in einem ernsten Zustand waren. Eine neue Herausforderung präsentierte sich: die Optimierung der parallelen Betreuung von COVID- und Nicht-COVID Patienten.

Noch kommen die Leute nur zögernd in die Notaufnahme. «Trotz der getrennten Behandlungspfade haben viele Angst, ins Spital zu kommen. Wir haben jedoch alles dafür getan, um die Sicherheit der Patienten und Besucher zu gewährleisten. Die Menschen brauchen einfach noch ein bisschen Zeit», fügt Dr. Thomas Schmutz hinzu.

Was nimmt unser Spital mit aus dieser aussergewöhnlichen Erfahrung? «Das HFR hat bewiesen, dass es sich sehr gut anpassen kann. Ausserdem haben sich an allen Standorten nur sehr wenige Mitarbeitende angesteckt, was zeigt, dass die Sicherheits- und Hygienemassnahmen gut umgesetzt wurden», antwortet Dr. Hatem Ksouri. Die Stationsleiter wünschen sich, dass die Entscheidungsschnelligkeit und die Interdisziplinarität der letzten Woche weiterbestehen.

«Rückblickend können wir sagen, dass wir ziemlich effizient gearbeitet haben», sagt Didier Castaings. «Trotz unserer Ängste zu Beginn der Pandemie waren wir gut vorbereitet und konnten eine hohe Pflegequalität gewährleisten.» Seine Kollegen schätzten besonders die Anerkennung ihrer Arbeit durch die Patienten und die Bevölkerung – insbesondere in Form von Schokolade.

H24 / Frühling 2020