„Wir stehen happige Momente miteinander durch, lachen aber auch viel“
Seit mehr als eineinhalb Jahren kommt Marie-Thérèse Favre Lehmann für ihre ambulante Krebstherapie regelmässig ans HFR. Dort erwartet sie oft Magali Collaud Oberson, Pflegefachfrau in der Abteilung Onkologie in Freiburg. Die beiden waren bereit, uns über die gemeinsamen Erfahrungen aus dieser Zeit zu berichten. Interview.
Sie sind seit mehr als eineinhalb Jahren Patientin der Abteilung Onkologie. Können Sie uns erzählen, wie Ihre Behandlung bisher verlaufen ist?
Marie-Thérèse Favre Lehmann: Es war ein ständiges Auf und Ab! Im April 2021 wurde bei einer Routineuntersuchung Lungenkrebs diagnostiziert. Im Juni begann ich mit der Chemotherapie. Danach wurde ich während mehr als sechs Wochen täglich von Montag bis Freitag bestrahlt. Nach einer vierten Chemotherapie begann ich im Oktober 2021 eine Immuntherapie, um mein Abwehrsystem zu stärken. Ende 2021 hatte ich plötzlich Gleichgewichtsstörungen. Eine MRI- und eine CT-Aufnahme ergaben, dass der Tumor in der Lunge zwar deutlich kleiner geworden war, der Krebs jedoch ins Gehirn gestreut und sich am Kleinhirn ein neuer, zwei Zentimeter grosser Tumor gebildet hatte. Der Arzt empfahl mir eine Operation, und so bin ich am 7. Januar 2022 auf dem Operationstisch eingeschlafen, ohne zu wissen, wie ich wieder aufwachen würde. Aber alles ging gut, und ich begann wieder mit der Strahlentherapie, um die Metastasen im Gehirn zu zerstören. Danach war mit der Lunge alles gut, aber die Metastasen im Kopf waren immer noch da. Deshalb fuhr ich mit der Bestrahlung fort und habe jetzt eine weitere Immuntherapie hinter mir.
Ist dieser Therapieverlauf aussergewöhnlich?
Magali Collaud Oberson: Die Diagnose und die Behandlung sind zwar oft recht ähnlich, aber jede Person erlebt die Therapie und ihre Nebenwirkungen sehr unterschiedlich. Es gibt Hunderte verschiedener Behandlungen und Protokolle. Die Diagnose Krebs löst jedoch bei allen Betroffenen einen wahren Tsunami aus.
M-TFL: Das stimmt, aber man hat keine Zeit zum Grübeln, denn es kommen sofort unzählige Untersuchungen auf einen zu und man muss rasch Entscheidungen treffen. Ich bin jeweils den Empfehlungen des Arztes gefolgt und habe versucht, einen Tag nach dem andern zu nehmen. Das half mir, ruhig zu bleiben und mich nicht zu sehr aufzuregen.
Was passiert bei einer Immuntherapie?
M-TFL: Am Vorabend der Therapiesitzung werde ich telefonisch gefragt, wie es mir geht und ob mein Zustand die Therapie erlaubt. Am Tag selbst bin ich gerne früh vor Ort, damit ich mir einen guten Platz aussuchen kann (lacht). Mir wird Blut entnommen, und ich muss viel Wasser trinken. Dann erhalte ich die Infusion.
Was ist Ihre Rolle bei der Behandlung von Frau Favre Lehmann? Ist sie bei jeder Patientin, jedem Patienten anders?
MCO: Ich rufe sie am Vortag an, um zu erfahren, wie es ihr geht. Je nach ihrem Gesundheitszustand entscheide ich, ob die Therapie stattfinden kann oder nicht. Wenn alles gut ist, bestelle ich das Medikament in unserer Spitalpharmazie. Am Tag der Behandlung bin ich während der ganzen Therapie für sie da. Dabei habe ich einerseits technische Aufgaben wie das Verabreichen des Medikaments. Ich bin aber auch dafür da, sie und ihre Angehörigen bei jeder Etappe ihrer Krebsbehandlung psychologisch zu unterstützen. Ich informiere zudem über die verabreichte Therapie und ihre Nebenwirkungen. Ferner sorge ich für die Verbindung zu anderen Fachbereichen wie der Diabetologie, der Ernährungsoder der Patientenberatung.
Wie wirkt sich die Behandlung auf Ihren Alltag aus?
M-TFL: Nach den Chemotherapie-Terminen war ich jeweils sehr müde. Ausserdem verlor ich während einiger Zeit den Geschmackssinn. Die Bestrahlung verursachte mir Aphten im Mund und Halsschmerzen und die Haut an den Füssen schälte sich ab. Seit April 2021 kann ich nicht mehr arbeiten. Mein Mann und meine Familie unterstützen mich sehr. Ausserdem habe ich eine Nachbarin, die Reiki macht, und eine Freundin, die mir besonders viel geholfen hat.
Was raten Sie Patientinnen und Patienten, die dasselbe durchmachen wie Frau Favre Lehmann?
MCO: (überlegt) Mittlerweile weiss ich, dass man viele Ratschläge geben kann, wie zuversichtlich bleiben, jeden Moment geniessen und Pläne schmieden. Je nachdem, wie es ihnen geht, schaffen das jedoch nicht alle. Das Wichtigste scheint mir heute, gut auf sich selbst zu hören und zu machen, was einem guttut.
Frau Favre Lehmann, Sie kommen regelmässig ans HFR. Begegnen Sie immer denselben Patienten und Pflegenden? Sind daraus besondere Kontakte entstanden?
M-TFL: Ja, die Ärzte und Pflegekräfte sind wirklich sehr freundlich und ich fühle mich sowohl in der Onkologie wie in der Radio-Onkologie sehr gut aufgehoben. Mit den anderen Patientinnen und Patienten ergibt sich manchmal ein Gespräch und es kommt vor, dass wir Telefonnummern austauschen, um in Kontakt zu bleiben.
Wie ist es für Sie, Patientinnen und Patienten auf diese Weise zu begleiten?
MCO: Wunderbar! Ich fühle mich sehr privilegiert in meiner heutigen Funktion. Unsere Patientinnen und Patienten lehren uns einiges an Lebensweisheit. Wir stehen happige Momente miteinander durch, lachen aber auch viel (beide Frauen lachen).
Was ist das Wichtigste, was Sie aus den vergangenen Monaten mitgenommen haben?
M-TFL: Zuversichtlich zu bleiben! Ich telefoniere oft mit Nachbarn, die auch Krebs haben. Wir erkundigen uns, wie es dem andern geht, und unterstützen einander. Bevor ich krank wurde, dachte ich beim Wort „Krebs“ ans Sterben. Heute denke ich nicht mehr daran, sondern ich kämpfe!