« Bei einem Gesundheitsproblem am richtigen Ort und zum richtigen Zeitpunkt von kompetenten Fachkräften betreut werden»
Als Antwort auf die Initiative „für eine bürgernahe 24-Stunden-Notfallversorgung in Spitälern“ haben der Staatsrat und der Grosse Rat einen Gegenvorschlag erarbeitet. Dieser wird dem Volk im Juni 2024 – zusammen mit dem Finanzdekret über die Unterstützung des freiburger spitals (HFR) durch den Staat – zur Abstimmung vorgelegt. Worum geht es bei diesen Abstimmungen genau? Philippe Demierre, Direktor für Gesundheit und Soziales (GSD), klärt auf.
Herr Demierre, inwiefern ist die Initiative problematisch und machte die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags nötig?
Philippe Demierre : Die Initiative ist irreführend: Sie bezieht sich nur auf die Frage der Spital-Notaufnahmen, ohne dabei die anderen Partner des Netzwerks zu berücksichtigen, die in der Gesundheitsversorgung eine äusserst wichtige Rolle spielen. Sowohl bei lebensbedrohlichen Notfällen als auch bei weniger dringenden Gesundheitsproblemen wird eine ganze Kette von verschiedenen Akteurinnen und Akteuren aktiviert, die sicherstellt, dass Patientinnen und Patienten im ganzen Kanton erstklassig, schnell und adäquat betreut werden.
Ausserdem ist die von der Initiative geforderte Lösung angesichts des Mangels an Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegekräften gar nicht umsetzbar. Das HFR verfügt weder jetzt noch in Zukunft über genug Personal, um an drei Standorten Notaufnahmen zu betreiben, die rund um die Uhr geöffnet sind. Eine solche Vorgabe gefährdet unweigerlich die Qualität der Versorgung und damit die Sicherheit der Patientinnen und Patienten. Die Lösung besteht darin, dass jede Person mit einem gesundheitlichen Problem am richtigen Ort, zur richtigen Zeit und von den richtigen Personen betreut wird, wie es der Gegenvorschlag vorsieht.
Was genau beinhaltet der Gegenvorschlag?
Der Gegenvorschlag umfasst sieben Massnahmen. Eine der wichtigsten Neuerungen ist die Einrichtung einer einheitlichen Telefonhotline für Erwachsene und Kinder, die kostenlos, zweisprachig und rund um die Uhr erreichbar ist. Die Hotline wird von Fachpersonen aus dem Gesundheitswesen betreut, die erste Ratschläge geben und die Person an die am besten geeignete medizinische Anlaufstelle verweisen können. Die Einrichtung mobiler Pflegeteams, die sich zu den Patientinnen und Patienten nach Hause oder ins Pflegeheim begeben, ist ebenfalls eine neue Massnahme, die unnötige Wege in die Notaufnahme vermeidet. Die Stärkung der Permanences, der ärztlichen Bereitschaftsdienste und der ambulanten Gesundheitszentren in den Regionen ist ebenfalls vorgesehen, nach dem Vorbild des Gesundheitszentrums Süd in Riaz. Diese verschiedenen Einrichtungen werden ein solides Gesundheitsökosystem bilden, das in allen Regionen des Kantons eine optimale Versorgung gewährleistet.
Für lebensbedrohliche Notfälle sieht der Gegenvorschlag vor, erfahrene Rettungssanitäterinnen und -sanitäter in leichten Einsatzfahrzeugen (sogenannte Rapid Responder) einzusetzen und das Netz der Ersthelferinnen und Ersthelfer in den Randregionen zu erweitern. Mit diesem System können wir sicherstellen, dass Patientinnen und Patienten bei Notfällen so schnell wie möglich versorgt werden.
Der Gegenvorschlag beinhaltet ausserdem ein neues System zur Abrechnung von Ambulanzeinsätzen, um die Gleichbehandlung der verschiedenen Regionen zu gewährleisten. Für die deutschsprachige Bevölkerung ist ein Ausbau des Angebots an Sprechstunden bei Spezialistinnen und Spezialisten vorgesehen, insbesondere an den HFRStandorten Tafers und Meyriez-Murten.
Wie man sieht, betreffen diese Massnahmen nicht nur das HFR, sondern zielen darauf ab, die gesamte Notfallversorgung im Kanton zu stärken.
Gleichzeitig wird auch über ein Dekret abgestimmt. Wie hängt dieses mit der Initiative und dem Gegenvorschlag zusammen?
Dieses Dekret ist sehr wichtig, damit sich das Spital weiterentwickeln und die bestmögliche Versorgungsqualität im Kanton anbieten kann. Das Dekret hat zum Ziel, die wesentlichen, dringenden Investitionen zu sichern, die das HFR insbesondere für die Digitalisierung und die Erneuerung des medizinischen Materials benötigt, um die Gesundheitszentren in Riaz, Tafers und Meyriez zu stärken bzw. zu schaffen. Diese Investitionen sind unerlässlich, damit das HFR die bestmögliche Pflege anbieten kann und für sein Personal attraktiv bleibt.
Der Staatsrat und der Grosse Rat sind auch gewillt, dem HFR die Mittel zur Verfügung zu stellen, um die Vorbereitungsarbeiten für den Bau des neuen Spitalzentrums am Standort Freiburg in Angriff zu nehmen. Die Freiburger Bevölkerung braucht das neue Spital dringend. Das derzeitige Gebäude wird bald nicht mehr den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und den Standards entsprechen und generiert sehr hohe Betriebskosten.
Nicht lebensbedrohliche Notfälle |
1. Einheitliche, zweisprachige Telefonhotline für nicht lebensbedrohliche Notfälle bei Erwachsenen und Kindern, die kostenlos und rund um die Uhr erreichbar ist 2. a) Stärkung der Permanences und Ausbau der sogenannten «Maisons de garde», in denen Hausärztinnen und Hausärzte tätig sind |
Lebensbedrohliche Notfälle |
3. Regelmässige Überwachung der Bedürfnisse der Notfallzentrale 144 und entsprechende Anpassung der Ressourcen 4. a) Einsatz von Rettungssanitäterinnen und -sanitätern in leichten Einsatzfahrzeugen in den Randregionen |
Gleichbehandlung |
5. System, das eine gerechte Abrechnung von Ambulanzeinsätzen auf dem ganzen Kantonsgebiet gewährleistet |
Angebot für die deutschsprachige Bevölkerung | 6. Ausbau des Leistungsangebots am HFR Tafers und am HFR Meyriez-Murten, insbesondere im ambulanten Bereich |
Kantonale Koordination von gesundheitlichen Notfällen | 7. Strategische Leitung und Koordination der Organisation von lebensbedrohlichen und nicht lebensbedrohlichen gesundheitlichen Notfällen durch die Direktion für Gesundheit und Soziales (GSD) |
Dekret | Bürgschaft für die Investitionen 2024‒2027 des HFR für Erneuerung, Verbesserungsprojekte und Innovation (CHF 105 Mio.) |
Darlehen für Projektstudien für den Bau des neuen Spitals (CHF 70 Mio.) |
Die Initiative, die eine 24-Stunden-Notaufnahme an drei Standorten im Kanton fordert, ist unrealistisch und nicht umsetzbar, wenn wir eine gute Pflegequalität und ausreichende Sicherheit gewährleisten wollen.
WAHR Die Versorgung von Notfällen im Spital beinhaltet weit mehr als die Notaufnahme. Sie erfordert eine umfassende technische Infrastruktur: Operationssäle, Intensivstation und Überwachungspflege, Labor, Radiologie usw. Dies erfordert wiederum die Anwesenheit von ausreichend medizinisch-pflegerischem Personal, darunter zahlreiche Spezialistinnen und Spezialisten. Weil diese Fachkräfte im Kanton, in der Schweiz und gar in ganz Europa fehlen, kann dieses Personal nicht rekrutiert werden.
Die Notaufnahme des HFR Freiburg ‒ Kantonsspitals ist chronisch überlastet, weil die Notaufnahmen in Tafers und Riaz in Permanences umgewandelt wurden.
FALSCH Die Patientenzahlen sind seit vielen Jahren sehr hoch, schon lange bevor die Notaufnahmen in Permanences umgewandelt wurden. Die Überlastung ist u. a. auf den Mangel an Grundversorgern (Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner, Kinderärztinnen und -ärzte) zurückzuführen. Das führt dazu, dass viele Menschen wegen gesundheitlicher Probleme, die in einer normalen Arztpraxis behandelt werden könnten, die Notaufnahme aufsuchen. Besonders akut ist das Phänomen im Sommer und über Weihnachten/Neujahr, wenn die Arztpraxen geschlossen sind. Die einheitliche, kostenlose Telefonhotline, die mobilen Pflegeteams sowie der weitere Ausbau der Permanences und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in den Regionen sind realistische und wirksame Lösungen als Antwort auf diese Problematik.
Man sollte besser die aktuellen Gebäude renovieren, anstatt ein neues Spital zu bauen. Das würde weniger kosten.
FALSCH Werden alle Parameter berücksichtigt, kostet eine Renovation mehr als ein Neubau. Ausserdem würden jahrelange Bauarbeiten während des laufenden Spitalbetriebs zu enormen Unannehmlichkeiten für die Patientinnen und Patienten und das Personal führen. Die Betriebskosten eines renovierten Gebäudes sind wesentlich höher als die eines neuen Gebäudes. Zudem sind die Patientenströme in den heutigen Gebäuden ineffizient und führen zu erheblichen Betriebs- und Effizienzverlusten.