Grüne Kittel gegen optische Täuschungen
Im Spital tragen Ärzte und Pflegende Weiss. Nicht aber im OP, dort dominieren Grün und Blau das Bild. Warum ist das so?
Wer sich schon einmal in einem Operationssaal umgesehen hat, bevor die Betäubung ihre Wirkung entfaltete, hat es sicher bemerkt: Die «Götter in Weiss» kleiden sich an diesem Ort in anderen Farben. Sie tragen – wie die Pflegenden – grüne oder blaue Kittel. Dabei ist doch Weiss die Farbe der Reinheit …
Indem Chirurgen die Kleidung ihrer Kollegen ansehen, können sie ihre Augen erneut «scharfstellen» und die Nuancen des menschlichen Körpers danach wieder besser unterscheiden.
Eine modische Laune der Spitäler? Ein Trick, um den OP-Bereich besser von den Sprechstundenzimmern abzugrenzen? Falsch geraten. Der Grund ist viel pragmatischer: Die blaugrüne Farbe der OP-Kleidung ist komplementär zum Rot der Organe und des Blutes. Die Theorie der Komplementärfarben, mit der sich Goethe bereits Anfang des 19. Jahrhunderts befasste, besagt, dass unser Auge – und somit auch unser Gehirn – besonders empfänglich für die Komplementärfarbe ist, wenn es sich an einer Farbe sattgesehen hat. Indem Chirurgen die Kleidung ihrer Kollegen ansehen, können sie ihre Augen erneut «scharfstellen» und die Nuancen des menschlichen Körpers danach wieder besser unterscheiden. Das ist sehr nützlich, denn beim Operieren ist höchste Präzision gefragt.
Weisse OP-Kleidung, die bis zum Ersten Weltkrieg – und darüber hinaus – eingesetzt wurde, bietet zahlreiche Nachteile, so sind z. B. Blutflecken viel besser sichtbar. Ein Arztkittel, der wie eine Metzgerschürze aussieht, macht sich in einem Umfeld, in dem Leben gerettet werden, nicht sehr gut. Ein weiteres Element, das gegen Weiss spricht: die Operationsleuchten. Diese sind mit der Zeit viel leistungsfähiger geworden. Weisse Kleidung würde das Licht zu stark reflektieren.
Nachbildwirkung
Haben Sie auch schon einmal bei strahlendem Sonnenschein den Schnee angeschaut und anschliessend kleine Flecken vor den Augen gesehen? «Dabei handelt es sich um optische Täuschungen, ein sogenanntes Nachbild», erklärt Dr. med. Philippe de Gottrau, Chefarzt der Klinik für Ophthalmologie. «Durch die starke Lichteinstrahlung prägt sich das Gesehene im Gehirn ein und wird einen Moment später nachgebildet, obwohl sich das Sichtfeld verändert hat.»
Zurück zu den Chirurgen: Diese müssen sich während einer Operation über lange Zeit extrem auf die Organe und das Blut konzentrieren. Diese optischen Spektren können das Auge reizen, woraufhin die Zapfen im Inneren des Auges imaginäre grüne Farbtöne erscheinen lassen. Durch den Blick auf die grüne Kleidung kann sich das Auge erholen. Kleine Anekdote zum Schluss: Beim French Open sind die Sitzreihen und Werbeschilder grün, damit sich die Spieler besser auf den roten Tennisplatz konzentrieren können.